Carmen Burgfeld
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Carmen Burgfeld Nürnberg
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Therapeutische Praxis seit 1994



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Wann, wenn nicht jetzt?

Für diesen Artikel brauchen Sie etwas Zeit und Ruhe. Eventuell drucken Sie ihn sich aus, am besten im Querformat.

Ich schreibe über Phänomene und Themen, deren wir uns im täglichen Leben nicht so bewußt sind, und für die es sich lohnt, einen Moment inne zu halten. Es geht um

  • Zeit
  • Wirklichkeit und Vorstellungen
  • Verantwortung
  • Präsenz
  • mein Leben zu leben


Wann, wenn nicht jetzt?

Ich möchte Ihnen eine ganz einfache Frage stellen, eine Frage, die Sie im Trubel Ihres Alltags vielleicht immer wieder vergessen, für die Sie sich normalerweise keine Zeit nehmen, die Sie verdrängen, weil Sie ahnen, wie Ihre Antwort ausfallen würde: „Lebst du jetzt, wirklich? In diesem Augenblick, ganz und gar?“ Wie lautet Ihre Antwort? Vielleicht: „Leben ist das, was sich ereignet, während ich mit anderen Dingen beschäftigt bin?“

Wer kennt nicht Sätze wie: „Jetzt nicht, später, jetzt habe ich keine Zeit, ich muss erst noch unbedingt ...“ Das gibt Aufschluss darüber, wie wir mit den Möglichkeiten unseres Lebens umgehen: Wir halten etwas anderes für wichtiger, für dringlicher als das, was gerade ist, was unser Organismus, unsere Seele im Augenblick braucht.

Vor lauter Beschäftigung mit drängenden Dingen, die alle erst noch zu erledigen sind, kommen wir nicht zu dem, was wir eigentlich leben möchten. Unsere Zeit verbringen wir mit fortdauernden Vorbereitungen auf die Zukunft, in der unser eigentliches Leben stattfinden soll. Aber: „Wann soll das Leben stattfinden, wenn nicht jetzt?“




„Obwohl zum Innehalten die Zeit nicht ist,
wird einmal keine Zeit mehr sein,
wenn man jetzt nicht innehält.“
Christa Wolf




Die Wirklichkeit erfassen


Um die Wirklichkeit des Lebens vollständig zu erfassen, braucht es einen Zustand der Präsenz. Das meint eine innere, zentrierte Haltung der Wachheit und Offenheit für alles, was ist und was ich bin, mit allen Aspekten und Nuancen. Dazu gehört ein unmittelbares, unvoreingenommenes Schauen auf die Dinge. In diesem Schauen habe ich einen freundlichen, wohlwollenden Blick, voller Interesse und Vertrauen. Er ist weder verzerrt noch gefiltert von irgendeiner Moral, Überzeugung, Meinung, Bewertung oder Ansicht. Ziel ist, mit allen Sinnen zu erfassen, wie die Dinge in der Tiefe wirklich sind, wie sie aussehen, schmecken, riechen, sich anfühlen, sich anhören, kurz: wie sie auf mich wirken.


In dieser Weise zu schauen ist gar nicht so einfach, denn wir sind es eher gewohnt, die Welt aufgrund unserer Vorstellungen und Annahmen wahrzunehmen, und zwar so, dass sie in unsere Vorstellungen passt. Wenn ich als Kind nicht die Erfahrung machen konnte, dass jemand kommt, wenn ich schreie, mich beruhigt, wenn ich aufgeregt bin, mich hält, wenn ich mich ängstige, dann werde ich kein Vertrauen in die Welt haben. Ich werde die Vorstellung entwickeln: „Das Leben meint es nicht gut mit mir, ich muss alles alleine bewältigen und kann mich auf keine Unterstützung verlassen.“ Wenn ich auch als Erwachsener der Welt mit dieser Annahme begegne, nehme ich sie automatisch als eine wahr, der man stets misstrauen muss. Ich öffne mich dann nicht für Erfahrungen, die dieses alte Konzept korrigieren würden, und erfahre somit nicht die Wirklichkeit der Gegenwart. Die Frage „Lebst du jetzt wirklich? In diesem Augenblick, ganz und gar?“ muss ich dann verneinen.


So wie ich es gewohnt bin, die Welt passend zu meinen Vorstellungen wahrzunehmen, so nehme ich mich selbst passend zu meinem Selbstbild wahr. Geprägt von einem Erziehungsgrundsatz wie z.B. „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“, identifiziere ich mich mit den Eigenschaften eines freundlichen, selbstlosen und rücksichtsvollen Menschen. Die anderen Seiten, die ich auch noch habe, z.B. rechthaberisch und egoistisch zu sein, passen dann nicht in dieses Bild, wirken verunsichernd und werden deshalb ausgeblendet. Aber

erst wenn ich bereit bin wahrzunehmen, dass auch diese unangenehmen Seiten zu mir gehören, werde ich vollständig in allen Facetten, die meine Persönlichkeit ausmachen. Erst dann kann ich erleben, wer ich wirklich bin.


Verantwortung übernehmen


Wenn ich Erfahrungen deute und Deutungen als Tatsache betrachte, dann erlebe ich die Welt nicht, wie sie wirklich ist. Dann ist mein Leben das, was sich ereignet, während ich mit meinen Interpretationen beschäftigt bin.


Manche falsche Deutung ist uns lieber als genau hinzusehen, besonders, wenn es sich um etwas Unangenehmes handelt. So ist es zum Beispiel bequemer, mich in Paarkonflikten lediglich als Opfer zu betrachten und nicht auch als Täter zu sehen.


Wenn „mein Leben leben“ bedeutet, die Dinge nicht zu interpretieren, sondern sie zu sehen, wie sie wirklich sind, dann muss ich Verantwortung übernehmen für mein Handeln und die sich daraus ergebenden Konsequenzen.


Wenn wir von einem anderen etwas haben möchten, was dieser uns nicht geben kann oder will, und wenn wir darüber verzweifelt sind, dann meinen wir oft, der andere sei an unserem Unglück schuld; er sei es, der uns dieses unangenehme Gefühl der Verzweiflung bereitet. Das ist ein Irrtum. Der andere ist nur ein Auslöser. Die Verzweiflung ist unsere. Wir selbst begeben uns in dieses Gefühl. Möglicherweise halten wir damit eine frühe Gewohnheit aufrecht, nämlich mit Verzweiflung zu reagieren, wenn wir nicht bekommen, was wir brauchen. Es kann auch sein, dass die Art und Weise, wie wir etwas vom anderen haben wollten, nicht angemessen war – zu fordernd, bestimmend, manipulativ –, sodass wir damit selbst dafür gesorgt haben, dass wir nicht bekommen, was wir möchten.


Durch das Erkennen solcher Prozesse und Zusammenhänge übernehmen wir die Verantwortung für unser Verhalten.



Bin ich wirklich anwesend?


Nicht wirklich anwesend zu sein ist das Gegenteil von Präsenz, von der ich anfangs gesprochen habe. Wo bin ich, wenn ich nicht präsent bin? Hänge ich Gedanken nach? Flüchte ich in Tagträume, wie mein Leben sein könnte, wenn nur dieses oder jenes anders wäre?

Nicht in meinem Leben anwesend zu sein heißt, meinen Körper nicht zu spüren, nicht in Kontakt zu sein mit meinen Empfindungen, Gefühlen und Bedürfnissen, und nicht in Kontakt zu sein mit meiner Umwelt.

Wie will ich mein Leben entfalten und mich darin gut und zufrieden fühlen, wenn mein Kopf der alleinige Herrscher ist, der über mein Leben bestimmt? Wie will ich lernen zu entspannen, wenn ich nicht spüre, wann und wie ich meine Muskeln anspanne? Wie will ich meine Angst beruhigen, wenn ich nicht spüre, dass ich nicht mehr richtig atme? Wie will ich meine Gefühle für jemand ausdrücken, wenn ich nicht spüre, dass ich welche habe?




„Die erste Voraussetzung dafür, das zu erfahren,
was wir potenziell erfahren können,
ist aufzuhören, etwas anderes zu tun.“
Naranjo



Was muss ich tun, um wirklich zu leben?


Um wirklich im Augenblick zu leben, ist es nötig, mich von vertrauten Mustern und Gewohnheiten zu trennen, wenn sie mir das Leben verstellen, meine Wahrnehmung verzerren, meinen Blick trüben, meine Energie blockieren, mein Fühlen betäuben, die Entfaltung meiner schöpferischen Kräfte, sowie meine Interaktion mit der Umwelt in Achtung und Respekt verhindern.


Vor dem Hintergrund der Gestalttherapie möchte ich Ihnen folgende Fragen als Begleitung auf Ihrem Weg hin zu einem lebendigen Leben im Hier und Jetzt ans Herz legen:


Kann ich in Berührung kommen mit der Tiefe und dem Reichtum meines Wesens und der Welt? Bin ich neugierig auf mich selbst, wer ich bin und was das Leben mir zu bieten hat, sei es schön, angenehm und beglückend oder erschreckend, traurig und unvertraut? Bin ich bereit, all das zu erfassen und anzunehmen, wie es ist? Öffne ich mich für das, was mich in meinem Leben unterstützt, und verschließe ich mich vor dem, was giftig für mich ist und destruktiv? Setze ich mich für die Befriedigung meiner Bedürfnisse ein oder warte ich ab, ob es das Leben für mich tut? Verwende ich meine Fähigkeiten und Fertigkeiten dazu, Dinge zu tun, die ich für richtig halte, in Übereinstimmung mit meinem innersten Wesen und unabhängig von dem Urteil anderer, unabhängig vom Ergebnis oder den Folgen meines Handelns? Treffe ich meine Entscheidungen, weil sie stimmig für mich sind, auch wenn ich damit den Normen, Konventionen und Wertvorstellungen anderer nicht entspreche? Weiß ich, was ich fühle, sage ich, was ich meine, und tue ich, was ich sage?


Wir sind dazu bestimmt, jetzt zu leben, weil uns das Leben geschenkt worden ist. Manche Menschen nehmen das, was ihnen widerfährt, passiv als ein gegebenes Schicksal hin. Man kann die Ereignisse des Lebens aber auch aktiv als eine Herausforderung betrachten, sich daran zu entwickeln und das Beste daraus zu machen für sich und die Gemeinschaft, in der man lebt. Vielleicht liegt unsere Bestimmung darin, der Mensch zu werden, der wir durch die Entwicklung unserer besten Anlagen und Talente werden können. Durch die bewusste Entscheidung zu solch einer aktiven Haltung dem Leben gegenüber „verwandeln wir ein unpersönliches Schicksal in unsere persönliche Bestimmung“ (Kopp).











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